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ALICE SCHWARZER
A/D 2022, 100 Min., ab 6 J., R: Sabine Derflinger, mit: Alice Schwarzer,
Die Ikone der deutschen Frauenbewegung bei ihrer Arbeit und im Privaten. Im Film kommt Bettina Flitner, Fotografin und Alices Ehefrau, zu Wort, ebenso sehen wir Interviews mit Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern wie Élisabeth Badinter, Peter Merseburger, Jenny Erpenbeck, Jasmin Tabatabai, Franziska Becker, Anne Zelensky und Sonja Hopf, sowie Archivaufnahmen, unter anderem mit Henri Nannen, Rudolf Augstein, Margarete Mitscherlich, Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre. Stellungnahme der Produktion zu Boykottaufrufen: Wie viele von Euch in den letzten Tagen gelesen und teilweise im Kinobetrieb erfahren haben, gibt es um den Dokumentarfilm „Alice Schwarzer“ von Sabine Derflinger eine hitzige Debatte. Eine Debatte die leider keine ist, weil sie nicht das Gespräch sucht. Wir haben das Gefühl, dass es weniger Auseinandersetzung als Vorverurteilung ist. Als Verleiher*innen und Produzent*innen des Films sind wir uns darüber im Klaren, dass Alice Schwarzer ein Leben lang kontroverse Positionen vertreten hat. Auch in jüngster Zeit gab es öffentliche Äußerungen von ihr, von denen sich Menschen verletzt gefühlt haben. Deshalb zu behaupten Alice Schwarzer sei transphob, Rassistin oder Sexarbeiter*innen- feindlich, halten wir für eine grobe Fehleinschätzung. Alice Schwarzer hat sich schon sehr früh für die Rechte transsexueller Menschen eingesetzt. Sie ist ihr Leben lang rassistischen Tendenzen entgegengetreten und hat sich eingehend mit den Arbeitsbedinungen von Sexarbeiter*innen beschäftigt. Sie ist aber in einigen Punkten zu anderen Ergebnissen gekommen, als die, die sie heute als transphob, rassistisch und Sexarbeiter*innen-feindlich bezeichnen. Unser Eindruck ist, dass Alice Schwarzers Äußerungen vor allem in den sogenannten sozialen Netzwerken stark verkürzt und ohne Zusammenhang wiedergegeben werden, um dann kontextlos vervielfältigt zu werden- eine absolute Engführung. 140 oder 280 Zeichen reichen für Diffamierung, nicht aber für eine Auseinandersetzung. Ein langer Dokumentarfilms hat mehr als 140, sogar mehr als 280 Zeichen. Ein beobachtender Film ist per se ein Gegenpol des schnellen Vorurteils. Der Film lädt ein, bei einigen dieser kontrovers disktutierten Themen ein umfänglicheres Bild von Alice Schwarzers Position zu bekommen. Diese Möglichkeit – des Beobachtens, des Entdeckens- des -Sich Überraschen-Lassens- wird jetzt angegriffen. Der Streit um Alice Schwarzers Äußerungen zur Transsexualität – wobei auch da oft Autor*innenschaft mit Herausgeber*innenschaft verwechselt wird - war noch kein Thema, als der Film gedreht wurde. Dem Film vorzuwerfen, dass er das Thema aussparen würde, ergibt wenig Sinn. Ein Film kann nicht alles abdecken und leisten, sondern beleuchtet das, was die Regisseurin für interessant erachtet – unabhängig von der Person, die portraitiert wird, wenn es sich um ein Portrait handelt. Sabine Derflingers Film konzentriert sich auf die Themen, die sie als Regisseurin interessieren und eröffnet damit beispielsweise die Möglichkeit, sich mit der zweiten Frauenbewegung auseinanderzusetzen. Die Fülle von Archivmaterial bietet Einblicke in das Leben einer Frau, die mit ihrer Vehemenz und ihrer ungeheuren Energie sehr, sehr viel für die Geschlechtergleichberechtigung geleistet hat: dafür, dass Frauen arbeiten gehen können, dass sie über ihren Körper frei verfügen dürfen, dass sie Schutzräume vor männlichen Übergriffen bekommen etc. Dass diese Vehemenz und kämpferische Energie zuweilen über das Ziel hinaus schießt, liegt in der Natur der Sache und ist auch im Film sichtbar. Wir glauben, dass es sich trotzdem lohnt, sich mit diesen vehement vertretenen Positionen auseinanderzusetzen, weil sie den Menschen zugewandt sind. Man kann anderer Meinung sein, und auch wir sind in einzelnen Punkten und Themenfeldern anderer Meinung, aber man kann Alice Schwarzer nicht absprechen, dass sie anderen Meinungen und den damit verbundenen Debatten aus dem Weg geht. Wir würden uns diese Debatten im Zusammenhang mit dem Film wünschen und haben sie teilweise auch schon in Gesprächen nach dem Film geführt. Die Forderung nach einem Aufführungsverbot oder die Forderung, einer Person keinen Raum zu geben, die so viel für den freien Umgang in unserer heutigen Gesellschaft geleistet hat, finden wir befremdlich. Alice Schwarzer ist wie alle Menschen nicht unfehlbar. Sie hat in manchen Dingen recht, in anderen unrecht. Es ist Aufgabe der Zuschauer*innen, sich mit ihren Positionen und dem Blick der Regisseurin auf diese Positionen auseinanderzusetzen, sie mit der eigenen Haltung abzugleichen und im besten Falle zu einer neuen Einschätzung zu kommen, die nicht eine komplett andere sein muss, aber vielleicht eine etwas veränderte. Das Aushalten von Widersprüchen, zu akzeptieren, dass die Welt komplex ist und dass es Debatten zwischen Menschen braucht, um unser Zusammenleben auf eine bessere Basis zu stellen, ist etwas, das uns am Herzen liegt. Nur, wenn wir im Dialog bleiben, haben wir als Gesellschaft eine Chance. Wir sind der Meinung, dass der Kinodokumentarfilm „Alice Schwarzer“ einen wertvollen Beitrag zu diesem wichtigen Dialog leistet. Eva-Maria Weerts und Franz Müller Mizzi Stock Entertainment Produktion und Verleih Spieltermine |